Tagebuch_2018-05-11
Von „Carrion de los Condes“ nach „Calzadilla“ sind es 18 km. Es sind achtzehn Kilometer, die es in sich haben. Sozusagen Meseta pur. Auf einem über 2000 Jahre alten, von den Römern durch Sumpf und Moorland aufgeschüttetem Damm läuft man Stunde um Stunde dahin. Vielleicht sollte ich besser sagen: „schleppt man sich dahin“. Denn der Wind ist unerbittlich und bläst einem oft genug direkt ins Gesicht. Die Augen tränen. Der Blick ist meist gesenkt und fixiert die Steine der nächsten zwei Meter vor den staubigen Schuhen. Denn der Rucksack ist so verdammt schwer. Und blickt man auf, ist der Horizont so weit wie immer. Aber wenigstens ist in dieser Jahreszeit alles grün, und die Temperaturen sind mit um die 22 Grad erträglich. Im August wird es in der Meseta unerträglich. Die Erde ist verbrannt und das Thermometer steigt weit über 40 Grad.
Tagebuch_2018-05-12
Wind, Wind, Wind – den ganzen Tag. Immer konstant. Immer direkt von rechts vorn. Es ist ein kalter Wind. Beim Start heute Morgen um 7.00 Uhr hatte es nur 5 Grad. Was für ein Temperatursturz seit gestern! Auch das ist die Meseta.
Der Himmel ist blau, nur ein paar weiße Wolken ab und zu. Auf der rechten Seite begleiten uns die schneebedeckten Gipfel des Kantabrischen Gebirges, aufgereiht wie an einer Perlenkette. Von diesen Schneebergen pfeift der eisige Wind über die flache Meseta. Nur selten blicken wir nach rechts, denn die Augen beginnen sofort zu tränen. Noch seltener zücken wir die Kamera, denn bis die wieder im überfüllten Bauchgurt verstaut ist und man den gewohnten Rhythmus wieder aufnehmen kann, vergeht eine Ewigkeit. Und weiter will man! Nichts wie weiter! Der Weg ist das Ziel? Grundsätzlich ja, aber nicht in solchen Momenten!
Wieder müssen wir Pause machen. Wir halten in „San Nicolas del Real Camino“. Ein langer Name und eine trutzige Kirche für ein paar wenige Häuser in einer leichten Senke der Meseta, umgeben von endlosen Getreidefelder. Das Gotteshaus selbst ist aus Lehmziegeln gebaut, dem Baustoff aus der Gegend. Die fensterlose Westwand dient als Pelota-Spielfeld.
Eine halbe Stunde vor unserem Ziel legen wir noch einmal eine Rast ein. Eine römische Brücke und eine kleine Kapelle wollen fotografiert werden. Außerdem entdecken wir beim Näherkommen zahlreiche komische Skulpturen aus Stahl, auf denen wir uns entspannen und wärmen können. Der Stahl ist warm, und der Wind hat deutlich nachgelassen.
Nach 8,5 Stunden kommen wir endlich in „Sahagun“ an. 5 Stunden davon sind reine Laufzeit. Zurückgelegt haben wir 26,3 km.
Der Camino ist eine große Sache. Er bewegt körperlich, geistig, seelisch. Und er fordert. Er fordert dich ganz.
Es bewegt mich so von euch zu lesen. Bestimmt auch, weil ich selbst so viele Erinnerungen mit dem Weg verknüpfe. In der Meseta bin ich mit einer Holländerin gelaufen, Hitze, ausgetrocknete Brunnen, strahlend blauer Himmel und Nasenbluten. „Drei kleine Wölfe gehn des Nachts im Dunkeln…“ singend, Holländische Vokabeln lernen.
Ich bewundere euch, dass ihr euch auf den Weg begeben habt und bis jetzt gemeinsam durchhaltet, gemeinsam erlebt! Lasst euch nicht entmutigen, alles Gute für eure Füße, Knie und den gesamten Weg und euer Sein!
Selten habe ich Abschnitte eurer Reisen und Wege so begleitet, wie diesen hier. Vielleicht, weil ihr einen Traum von mir lebt. Mit meinen kaputten Knien ist mir dieser Weg nicht mehr möglich. Und so lauft ihr ihn ohne das Wissen darum für mich irgendwie mit.
Schade, dass ich auf dem Cruz de Ferro keinen Stein aus unserem Garten in Wandlitz bei Berlin ablegen kann… Auch hier nur der gedankliche …
Möge euch die Jakobsmuschel stets den richtigen Weg weisen.
Herzlichst
Elke aus Berlin
Respekt! Ich finde das ganz großartig, was ihr beide hier macht und schafft.
So wunderbar. Einen herzlich lieben Geburtstagsgruß noch nachträglich an Marjorie – und tausend liebe sonnige Grüße an euch beide!
Diana