Heute, am 5. Dezember 2018 beginnt der Tag mit einem wunderschönen Morgen. Die Maschine des Lufthansafluges LH1203 hat nach Süden abgehoben. Sie bringt uns nach Frankfurt. In einem weiten Bogen wendet sie über dem Dreiländereck Frankreich – Schweiz – Deutschland nach Norden. Im Süden wird die Alpenkette des Berner Oberlandes von der Ostsonne bestrahlt. Dann geht es über den Schwarzwald hinweg nach Norden. Wir fliegen in etwa 5000 m Höhe, sodass wir die grünen Bergrücken gut erkennen können. Nur die höchsten Gipfel im Süden des Schwarzwaldes haben weiße Hüte auf. Ansonsten geht das Schwarz der Wälder in der aufgehenden Morgensonne immer deutlicher in Grün über. Von hier oben aus erkennt man gut, wie dicht Deutschland besiedelt ist und wieviel Grün es dennoch gibt. Die Gebäude sehen aus wie die Spielzeughäuser einer überdimensionierten Eisenbahnmodellanlage. Deuschland eine Parkanlage.
In Frankfurt kann unsere Maschine nur weit außerhalb landen. Eine der größten Flughäfen Europas ist überlastet. Wir fahren mit dem Bus über das halbe Flughafengelände zum Terminal und brauchen gefühlt fast die gleiche Zeit wie für den Flug Basel Frankfurt. Doch jedes Mal staunen wir aufs Neue, wie reibungslos und schnell hier alles abläuft. Eine logistische Meisterleistung.
Mit dem Flug AC845 von Air Canada geht es um 13:30 Uhr weiter nach Calgary in Alberta, dem größten Hub im Westen Kanadas. Wir fliegen auf einem sogenannten Großkreis. Das ist die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten auf der Erdkugel. Zwischen Frankfurt und Calgary beträgt der Zeitunterschied acht Stunden. Das heißt im Moment unseres Starts ist es in Calgary 5:30 Uhr morgens und noch finster.
Nördlich von Island überqueren wir Grönland. Wir sehen nichts, denn inzwischen ist es finster, obwohl wir mit der Sonne in den Tag hineinfliegen. Es dauert ein wenig, bis uns die Erklärung einfällt. Wir fliegen so nahe am Nordpol vorbei, dass wir jetzt im Winter das Gebiet dauernder Dunkelheit durchfliegen.
Nach über sechs Stunden Flug sind wir im Norden Kanadas wieder so weit südlich, dass es hell wird. Ein fantastischer Tag geht weiter. Wir fliegen in 12000 m Höhe mit einer Spitzengeschwindigkeit von fast 1000 km pro Stunde, und dennoch ist diese riesige Landmasse unter uns gut zu erkennen. Kanada ist nach Rußland das zweitgrößte Land der Welt. Aber den größten Teil bildet dieser ungastliche raue Norden. Eine grenzenlose Landschaft aus Inseln und Seen, die der Winter mit Schnee und Eis überzogen hat. Das endlose Weiß unter uns bildet mit dem tiefen Blau des Himmels einen scharfen Horizont. Der Monitor vor mir zeigt eine Außentemperatur von MINUS 68 Grad an.
Nach weiteren vier Stunden und einem ruhigen Flug landen wir wohlbehalten in Calgary. Hier müssen wir durch die Paß- und Zollkontrollen, um nach Kanada einzureisen. Eine entsprechende Zollerklärung haben wir schon im Flieger ausgefüllt. Für unsere Reihe sind drei Beamte zuständig. Der eine sieht europäisch aus, der zweite indisch und der dritte chinesisch. Wir landen bei Letzterem. Ein paar Fragen nach dem Wohin und Warum, ein „Welcome to Canada“, verbunden mit einem freundlichen Lächeln, und wieder einmal sind wir im Land meiner Träume.
Eineinhalb Stunden müssen wir auf den Anschlußflug nach Edmonton warten. Draußen hat es MINUS 5° C und etwa 20 cm Schnee. In Edmonton soll es MINUS 10° C und 40 cm Schnee haben. Durch die großen Glasscheiben haben wir eine hervorragende Sicht auf die Skyline von Downtown Calgary im Süden und auf die nur 80 km entfernten Rocky Mountains im Westen. Wir sind beide sehr müde und schon ein paar Mal eingenickt.
Endlich wird zum Boarding für Flug Nummer AC8152 aufgerufen. Die Maschine, die uns nach Norden bringen soll, lässt mich an Outdoor Life und Abenteuer denken. Meine Begeisterung hält sich in Grenzen, denn ich komme mir nicht nur müde, sondern auch alt vor.
Das Flugzeug ist eine Propellermaschine vom Typ Bombardier Dash 8-300, wie sie in den 1980er-Jahren entwickelt wurden. Das Turboprop-Triebwerk besteht aus einer Gasturbine, die einen Propeller antreibt. Wir sitzen weiter hinten, direkt neben dem Fahrwerk. Als die großen Propeller zu drehen beginnen und die Schwingungen der Turbine über das ganze Flugzeug in meinem Körper spürbar werden, fange ich schon wieder mit dem Träumen an: Ich bin ein kanadischer Buschflieger auf dem Weg nach Norden. Geheimnisvolle Namen blitzen durch meinen Kopf: Whitehorse im Yukon, Dawson Creek in British Columbia, Inuvik in den North West Territories.
Doch wir fliegen nur bis Edmonton. Vierzig Minuten Flugzeit. Aber es sollten die spektakulärsten Minuten der ganzen Reise werden. Die weißen Gipfel der Rocky Mountains bilden eine endlose Kette, über die sich das helle Rot der soeben untergegangenen Sonne wie ein Flammenmeer ausbreitet und ziemlich abrupt in das Tiefblau des immer noch hellen Himmels übergeht. Mit jeder Flugminute wird es dunkler und damit die Farben satter. Es ist, als würde sich der Tag in einem Potpourri aus Rot und Gelbtönen verabschieden und die Nacht willkommen heißen.
Auch die Berge scheinen sich immer weiter zu entfernen. Die Erklärung ist einfach. Die Rockies bilden eine Cordilliere, die relativ steil zu den Foothills abfällt. Die Foothills wiederum gehen auf der Linie Edmonton, Calgary allmählich in die flache Prairie über. Während wir ziemlich genau nach Norden fliegen, biegen die Berge mehr nach Westen ab. Anders gesagt, von Calgary aus ist man in siebzig Minuten in den Bergen, von Edmonton aus braucht man 4,5 Stunden.
Es wird immer dunkler. Das Weiß des Schnees reflektiert die Reste des Tageslichts. Das Land sieht in der Abenddämmerung wie ein großer Flickenteppich aus. Die Flüsse und Waldstreifen, gegen den Wind künstlich angelegt, bilden schwarze Bänder, die die Landschaft in ein Patchworkmuster aufteilen. Das Ganze ist gespränkelt mit vielen hellblauen Farbklecksen, die von den vereisten Seen verursacht werden.
Wir fliegen in 5000 m Höhe. Mit zunehmender Dunkelheit sind immer mehr künstliche Lichtpunkte zu erkennen, die kleine Weiler oder einsame Farmen markieren.
Als die Maschine zum Landeanflug auf Edmonton ansetzt, spannt sich über uns ein schwarzer Himmel, der sich langsam mit funkelnden Diamanten zu füllen beginnt. Mir scheint, hier in Kanada sind die Sterne besonders groß und scheinen besonders hell zu funkeln. Aber vielleicht ist das auch nur das Leuchten in unseren Augen, als wir unsere Liebsten endlich wieder in die Arme schließen können.
Lieber Jörg,
welch ein Nikolaustag kannst du da nur lächelnd sagen. Eine richtig gute Zeit euch ALLEN in dieser besonderen Zeit.
Lieben Gruß,Edith
Wunderschön,diese Schneelandschaft! Ich weiß ja kaum noch, wann es bei uns mal so war!
Lieber Jörg,
es wäre ein Verlust, wenn du mich nicht in deine Mailingliste aufgenommen hättest. Ich lese deine
lebendigen und einfühlsamen Berichte immer wieder
gerne 🙂
LG Orit
Wie schön!
Sowohl deine Reisebeschreibung als auch das stimmungsvolle Winterfoto.
Vielleicht sieht es bei uns hier in „Good Old Germany“ auch bald so aus…..freu*
Im letzten Jahr hatten wir um diese Zeit einen Meter Schnee ( und Verkehrschaos).
Ich weiß das deshalb so genau, weil an diesem Tag der Weihnachtsmarkt begann und der Schnee alles in eine traumhafte Märchenlandschaft verwandelte.
Ich wünsche euch eine schöne Zeit!
Liebe Grüße
von Rosie
Lieber Jörg,
danke, dass du uns mit auf die Reise genommen hast. Wir wűnschen dir und dem Rest der Familie eine entspannte Vorweihnachtszeit. LG aus dem Norden. Sabine #Olly
Wunderbar – es ist als wäre ich mitgeflogen….. liebe Grüße und eine schöne Zeit mit Deinen Liebsten!
Lieber Jörg,
wie machst du das? Schreibst du es im Flugzeug nieder, was du gerade siehst oder kannst du dich noch im Nachhinein an diese tollen Einzelheiten und Eindrücke erinnern?
Ich war jedenfalls neben dir und Marjorie und habe jeden einzelnen Augenblick genossen. Du schreibst einfach toll.
Liebe Grüße und herrliche Tage mit der Familie.
Deine Gerti