Basel – Flughafen, genauer EuroAirport Basel Mulhouse Freiburg. Wieder einmal Aufbruch. Wieder einmal diese komische Mischung aus Abschied und Vorfreude. Der Taxifahrer, der uns von der Haustür zum Flughafen bringt, ist aus Kroatien. Er war dort Goldschmied und ist wegen des Krieges aus seiner Heimat geflohen. Die Goldschmiede
waren zuerst „dran“, wie er sich ausdrückt. Fünf Kinder hat er. Eine Tochter und anschließend vier Söhne. Er lacht über meine Geschichten. Die Geschichten handeln von „meiner Kanadierin“. Das habt ihr jetzt schon geahnt, gell? Beim Abschied drückt er uns die Hand und wünscht uns einen guten Flug. Leicht verlegen fügt er noch hinzu, dass er so ein nettes Paar noch nie erlebt hätte …
Ich gebe zu, dass meine Brust leicht anschwillt. Nach dem Geschmack meiner Frau fühle ich mich offensichtlich zu sehr geschmeichelt. Denn genau über diese eigentlich so harmlose Bemerkung geraten wir beide in „eine kleine Diskussion“.
Da wir noch jede Menge Zeit haben, setzen wir uns in das kleine Bistro am Eingang zu den Gates.
Der Kaffee und das Gipfeli sind gut, wie man das von der Schweiz gewöhnt ist.
Aber die Preise! Unglaublich teuer! Das beeinträchtigt den Genuss schon etwas.
Mit der linken Hand schnappe ich mir meinen Handkoffer, in die rechte nehme ich den Plastikbeutel
mit der „Elektronik“. Langsam und völlig relaxed schlendern wir zum Gate. Dort angekommen,
öffne ich meinen Koffer, um die Tempotaschentücher herauszuholen. Da stockt mir der Atem!
Wo ist mein Notebook??? – Ich habe ihn in dem Café auf dem Stuhl neben mir liegen lassen!
Wir rasen zurück. Noch sieben Minuten bis zum Boarding. Bleich und nach Luft ringend frage ich
die junge Dame hinter dem Thresen, ob in den letzten zehn Minuten ein Computer abgegeben worden sei.
Mit einem Lächeln geht sie nach hinten und kommt mit meinem Notebook zurück.
Ich bedanke mich überschwenglich. Der Italiener neben mir, der gerade seinen Latte Macchiato bestellt, klopft mir mitfühlend auf die Schultern und sagt: „Piano! Piano!“
In dem kleinen Flieger von Basel nach Frankfurt müssen wir unser Handgepäck abgeben. Das heißt, wir müssen unsere Computer, Ersatzplatten, Kamera, Ersatzbatterien, usw unter den Arm klemmen. Andererseits soll man ja jegliche Elektronik im Handgepäck befördern. Aber die Fächer über den Sitzen sind halt zu klein.
Ziemlich zerknirscht sitze ich neben meiner Liebsten im Flieger nach Frankfurt. „Die schwarze Hülle ist dir halt auf dem schwarzen Stuhl nicht aufgefallen“, versucht mich meine Frau zu trösten. Diese für sie völlig ungewöhnliche Art, mit mir umzugehen, lässt meine anfängliche Verunsicherung in Ärger umschlagen. Ärger auf mich selbst. Denn natürlich sage ich mir sofort, dass meine Frau sicherlich nicht mit einem alten Tattergreis auf die nächste Weltreise gehen wird. So ein Mist aber auch! Dass mir das passieren musste! Es hat doch gereicht, dass ich kurz vorher schon mit den beiden je 23kg schweren Koffern so meine Probleme hatte.
Marjorie redet und redet. Das ist selten. 😉 Ich höre nicht richtig zu. Das ist häufiger. 😉 In mir arbeitet es. Geduldig erklärt sie die Sache ein zweites Mal. Ich verstehe nicht, denn mit meinen Gedanken bin ich irgendwo in Tatschikistan.
Mit einer gewissen Verzweiflung im Blick schaut sie mich an. Erst ist sie von meiner körperlichen Leistungsfähigkeit etwas enttäuscht, und nun machen sich auch noch Zweifel über meine geistigen Fähigkeiten breit. Nicht nur bei ihr, auch bei mir.
Resigniert sage ich zu ihr:
„Dann musst du dir halt einen jüngeren Mann suchen.“
Die Antwort kommt prompt:
„Das ist mir zu mühselig. Bis ich den so weit habe, wie dich jetzt, vergeht mir zu viel Zeit.“
Ist das nun tröstlich für mich, oder eher nicht?
Wolken über dem Dreiländereck, aber kein Regen. Kurz vor dem Start redet der Pilot von möglichen Gewittern über Deutschland, aber der Flug verläuft ruhig. Und mit Schweigen zwischen uns.
Der Frankfurter Flughafen ist das reinste Chaos. Endlose Wege. Viele Baustellen. Mit der neuen automatischen Personenkontrolle habe ich auch wieder Probleme. Welch ein Reisestart diesmal! Den Pass habe ich richtig auf die Glasscheibe gelegt. In die Kamera habe ich auch geschaut. Warum nur geht dieses dämliche Gatter nicht auf?!? Nachsichtig bittet der junge Polizist den älteren Herren, länger in die Kamera zu schauen – und siehe da, wie von Geisterhand öffnet sich das Gate. Alles in Ordnung bei mir. Ich darf nach Kanada reisen. Meine Frau wartet bereits auf der anderen Seite. Auf ihrem Gesicht ein leicht mitleidiges Lächeln, aber sie sagt nichts.
Seit vielen Jahren fliegen wir wieder einmal in einem Jumbo Jet, einer Boeing 747 der Lufthansa. Der Flug ist ruhig. Das Essen exzellent. Nur die Sitze sind nicht sehr bequem. Marjorie liest, schaut Filme, schläft.
Wir reservieren uns immer Sitze, die durch den Gang getrennt sind. So kann jeder von uns ein Bein ausstrecken und die unbequeme Position von Zeit zu Zeit etwas komfortabler gestalten. Nach Toronto sind zwar „nur“ acht Stunden zu „überstehen“, aber immerhin.
Nach meiner Operation fliege ich zum dritten Mal und habe wieder keinerlei Probleme. Ich bin froh darüber. Die letzten drei Stunden vergehen im wahrsten Sinne des Wortes „wie im Fluge“, denn ich unterhalte mich angeregt mit meiner Nachbarin.
Die Dame heißt Olga und ist, wie sie mir ziemlich schnell verrät, dreiundsechzig Jahre alt. Mit achtunddreißig ist sie zunächst nach Israel ausgewandert, dann nach Kanada. Auch in Deutschland hat sie ein paar Verwandte. Die hat sie für zwei Wochen besucht. Der Vater ihres Vaters ist Jude. Sie selbst ist Russin. Noch so eine „globale Familie“. Das findet man in Kanada öfter.
Jetzt wollt ihr sicher noch wissen, ob die kleine Hannah (1 Jahr) schon Opa sagen kann, wieviele „kanadische Bärhugs“ (das sind besonders heftige Umarmungen!) ich meiner Schwigertochter gegeben habe, wie die dreijährige Tori auf die Granny reagiert hat, wie Marjorie ihren Sohn begrüßt hat, usw.
Auf all das müsst ihr noch eine Weile warten. Denn morgen werde ich erst einmal Haus und Garten inspizieren, um mir einen Überblick zu verschaffen, was alles zu machen ist. Also schaut einfach mal wieder ins Kanadische Tagebuch.