Oma und Opa sein ist nicht immer leicht. Die erste Tageshälfte ist vorüber und war voller Arbeit. Wir sitzen im Wohnzimmer, durch die große Fensterscheibe vor dem Wind geschützt, und genießen unseren wohlverdienten Kaffee. Es ist still im Haus, denn die einzige Mitbewohnerin ist im Moment die einjährige Hannah. Und die schläft seit zehn Minuten. Endlich.
Entspannt schweifen unsere Blicke über die glitzernde Wasserfläche des Pools. Die zahlreichen Büsche und Bäume trennen als grünes Band das Blau des Schwimmbades vom Blau des Himmels.
Marjorie sieht die Wellen zuerst. Etwas braunes, das dort nicht hingehört, zappelt im Wasser. Wir rennen raus und sehen, wie ein kleines Streifenhörnchen wieder und wieder versucht die senkrechte Wand des Pools nach oben zu kommen.
Die Kanadier nennen die putzingen Tierchen Chipmunk, weil sie ein Geräusch machen, das sich wie chip, chip anhört. Chipmunks sind Einzelgänger, die ihr Revier kompromisslos verteidigen. Sie bauen sich kunstvolle Höhlen, deren Eingang meist gut versteckt ist.
Es sind nur vierzig Zentimeter, die das Chipmunk vom Ufer trennen. Für den Menschen ein Klacks. Für das sonst so flinke Tierchen ein Ding der Unmöglichkeit. Verzweifelt paddelt das kleine Hörnchen weiter und versucht es an anderer Stelle erneut. Doch es ist dieselbe Betonwand, genau so steil und genau so glatt. Und wieder sind es genau vierzig Zentimeter zwischen Leben und Tod.
Meine Frau hat sich inzwischen den Kecher geschnappt, mit dem unser Sohn sonst die Oberfläche des Wassers säubert, und stürmt zur anderen Seite. Flink wie ein Wiesel -pardon- flink wie ein Streifenhörnchen rast sie um den Pool herum.
Der Kecher platscht aufs Wasser. Eine kurze Drehung. Ein Nachfassen. Dann reißt meine Frau den Kecher nach oben, als hätte sie einen dicken Fisch an der Angel. Das Hörnchen ist gefangen, aber gerettet. Nur ganz leicht hebt Marjorie den Kecher an, und schwupps ist das Tier im nächste Loch verschwunden.
Kaum haben wir uns umgedreht, da sehen wir ein weiteres Tier auf der anderen Seites des Pools, wo wir gerade entlang gespurtet sind, ebenfalls im Wasser, ebenfalls um sein Leben kämpfend.
Uns beiden ist sofort klar: So wild, wie sich diese kleinen Nager manchmal übers Grundstück jagen, haben sie dieses Mal den Rest ihres Verstandes verloren und sind beide im Wasser gelandet.
Zügig, aber gelassen, begibt sich meine Kanadierin zurück auf die gegenüberliegende Seite, den Kecher fest in der Hand.
Es dauert keine sechzig Sekunden, dann ist Marjorie zum zweiten Mal Lebensretter geworden.